Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) umfasst weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM) alle Praktiken, für die es keine medizinische Indikation gibt und bei denen die externen Genitalien teilweise oder vollständig entfernt oder anderweitig verletzt werden. Diese Definition ist allgemein akzeptiert und wird von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union verwendet.
Um eine internationale Standardisierung zu erreichen, hat die WHO die unterschiedlichen Formen von FGM in vier Typen unterteilt. Allerdings ist eine exakte Einordnung des jeweils durchgeführten Eingriffs nicht immer möglich.
Die weibliche Genitalverstümmelung ist nicht mit der Beschneidung von Jungen zu vergleichen. Die Entfernung der Klitoris und Klitorisvorhaut entspricht dem Verlust des Penis beim Mann. Anatomisch ist die Entfernung der Klitorisvorhaut mit der Entfernung der Penisvorhaut vergleichbar. Dieser FGM-Typ wird allerdings nur sehr selten praktiziert.
Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut.
Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Venuslippen, mit oder ohne Entfernung der großen Venuslippen.
Verengung der Vaginalöffnung mit Herstellung eines bedeckenden, narbigen Hautverschlusses nach Entfernen der kleinen und/oder großen Venuslippen durch Zusammenheften oder -nähen der Wundränder, mit oder ohne Entfernung der Klitoris.
Alle anderen schädigenden Eingriffe, die die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen, zum Beispiel: Einstechen, Durchbohren, Einschneiden, Ausschaben oder Verätzen.
Im Zusammenhang mit dem Thema FGM ist es sinnvoll und ratsam, die Wortwahl je nach Kontext zu differenzieren.
„Weibliche Genitalverstümmelung“ benennt die schwere Menschenrechtsverletzung, die diese Praktik darstellt. Die Verwendung dieses Begriffes geht auf Forderungen afrikanischer Aktivistinnen zurück, die damit zum Ausdruck bringen wollen, dass die „weibliche Beschneidung“ ungleich schwerwiegender ist als die (Vorhaut-)Beschneidung bei Männern – und somit nicht mit letzterer vergleichbar. Diesen Standpunkt haben afrikanische Aktivistinnen in der Erklärung von Bamako 2005 bekräftigt. In der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist der Begriff durchaus angebracht.
Angemessen im Umgang mit Betroffenen ist jedoch die Bezeichnung „Beschneidung“ (Englisch: cutting oder circumcision, Französisch: excision). Viele betroffene Frauen fühlen sich nicht verstümmelt und möchten auch nicht als verstümmelt wahrgenommen werden. Sie fühlen sich dadurch stigmatisiert. In Gesprächen ist zu erfassen, mit welchen Begrifflichkeiten Betroffene sich selbst wohlfühlen. Dies kann unterschiedlich sein und evtl. auch einen Hinweis darauf geben, wie die Frau selbst zur Praktik und deren Auswirkungen steht.
In den Materialien für die Fortbildungsveranstaltungen dieses Projektes wird der Begriff weibliche Genitalverstümmelung (FGM) verwendet.
FGM verletzt das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit sowie das Recht auf Gesundheit. Die Praktik ist eine schwere Form geschlechtsspezifischer Gewalt und gravierende Diskriminierung von Frauen und Mädchen.
FGM ist international in zahlreichen Dokumenten und völkerrechtlichen Abkommen als menschenrechtsverletzende und diskriminierende Praktik geächtet.
Weibliche Genitalverstümmelung wurde auf politischer Ebene, zum Beispiel im Rahmen internationaler Konferenzen wie der 4. Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995 oder der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo verurteilt. Im Dezember 2012 hat die UN-Generalversammlung unter aktiver Beteiligung der afrikanischen Union erstmals in einer spezifischen Resolution zu FGM (A/RES/67/146) alle Staaten aufgefordert, wirksame Maßnahmen zur Überwindung und Prävention von FGM zu ergreifen. Das UN-Sustainable Development Goal (SDG) 5.3 von 2015 ruft zur Abschaffung aller schädlichen Praktiken, wie Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung auf.
Anlässlich der 38. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates (UNHRC) im Juli 2018 einigte sich die Staatengemeinschaft auf eine gemeinsame Resolution zur Überwindung von FGM auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Link zum Dokument
Das Verbot von FGM ergibt sich bereits aus den zentralen Menschenrechtsverträgen der Vereinten Nationen, insbesondere aus dem Verbot grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, wie es zum Beispiel im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder im Übereinkommen gegen Folter formuliert ist. Das Recht auf Gesundheit ist durch den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte garantiert.
Dies ist insbesondere im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (UN-Frauenrechtskonvention – CEDAW, Art. 2) und in der UN-Kinderrechtskonvention (insbesondere Art. 24 Abs. 3 KRK) verankert.
Zusätzlich ergibt sich in Afrika das Verbot von FGM aus der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 27. Juni 1981 (Banjul-Charta), welche analog der UNO-Menschenrechtsverträge die Menschenrechte umfassend schützt. Die Banjul-Charta wurde von 53 der 54 afrikanischen Staaten ratifiziert.
Im afrikanischen Kontext kommt dem Protokoll zum Schutz der Rechte der Frauen in Afrika (Maputo-Protokoll) besondere Bedeutung zu, das 2005 als Zusatzprotokoll zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker in Kraft trat. Artikel 5 des Protokolls erkennt schädliche traditionelle Praktiken wie FGM ausdrücklich als Menschenrechtsverletzung an und unterstreicht die Verantwortung der Staaten, Frauen durch Gesetzgebung, öffentliche Bewusstseinsbildung und andere Maßnahmen gezielt zu schützen und zu stärken. Das Protokoll wurde bisher von 36 der 54 afrikanischen Staaten Ländern ratifiziert.
Zudem verpflichtet die afrikanische Kinderrechts-charta (ACRWC) in Artikel 21 die unterzeichnenden Staaten, Kinder vor schädlichen sozialen und kulturellen Praktiken zu schützen. Sie ist von 41 der 54 afrikanischen Staaten ratifiziert worden.
Die überwiegende Mehrheit der Herkunftsländer hat Gesetze gegen FGM erlassen.
Einen guten Überblick gibt die Seite Mädchenbeschneidung.ch.
Eine große, internationale Konferenz auf afrikanischem Boden zum Thema „FGM – International Conference on Female Genital Mutilation. Developing a political, legal and social environment to implement the Maputo Protocol“ fand 2004 in Nairobi, Kenia statt.
Im Oktober 2018 organisierte die Afrikanische Union unter der Führung des Präsidenten von Burkina Faso, eine internationale Konferenz zum Thema „Galvanizing Political Action to Accelerate the Elimination of Female Genital Mutilation by 2030“. Weitere Informationen zur Konferenz finden Sie hier.
Mit Blick auf Europa ergibt sich die Pflicht Frauen vor FGM zu schützen bereits aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4. November 1950, insbesondere aus Artikel 3, der die körperliche Integrität schützt. Alle 47 Staaten des Europarates haben die EMRK ratifiziert.
Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 7. April 2011 (Istanbul-Konvention) verbietet die Verstümmelung weiblicher Genitalien explizit (siehe Art. 38). Die Istanbul-Konvention ist von 22 Staaten ratifiziert worden und am 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten.