Betroffenen Mädchen und Frauen begegnen

Immer häufiger treffen Fachkräfte aus Gesundheitsberufen, aus dem sozialen und pädagogischen Bereich auf junge Mädchen und Frauen, die an den körperlichen oder psychischen Folgen einer Genitalverstümmelung leiden – und fühlen sich überfordert oder hilflos: Was tun? Wie soll ich reagieren? Wie kann ich darüber reden? An wen wende ich mich? Wie die Frauen orientieren? Was muss ich melden?

Dieses Kapitel will dazu beitragen, die wichtigsten Fragen aufzugreifen und Fachkräften Ansatzpunkte und Handlungssicherheit zu vermitteln.

Wie erkenne ich eine mögliche Gefährdung?

Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Tabuthema und gesetzlich verboten. Sie wird im Geheimen praktiziert, wodurch der Schutz gefährdeter Mädchen erschwert ist. Um Betroffenen würdevoll zu begegnen und nicht durch Verallgemeinerungen zu stigmatisieren, sind Kriterien wichtig, anhand derer das Risiko eines drohenden Eingriffs abgeschätzt werden kann.

Ein Mädchen, bzw. eine Frau könnte von FGM betroffen sein:

Wie übernehme ich Verantwortung?

Wenn Sie mit Geflüchteten arbeiten:

Im Kinder- und Jugendschutz:

Generell gilt:

Handeln Sie schnell, doch mit Bedacht. Schalten Sie so früh wie möglich eine spezialisierte Beratungsstelle ein. Greifen Sie auf interdisziplinäre Zusammenarbeit zurück: Wenn Sie einen Verdacht haben, teilen Sie ihn frühzeitig anderen Kolleg*innen mit und organisieren Sie sich Unterstützung. Wenden Sie sich zum Beispiel an Fachberatungsstellen, Kinderschutzbeauftragte, den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Fachämter in der Jugend- und Familienhilfe oder an das Jugendamt.

Bei Minderjährigen muss das Jugendamt eingeschaltet werden. Nach §8a SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) existiert ein Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Das Jugendamt muss die Betroffene in einer Gefährdungssituation in Obhut nehmen, das Familiengericht wird eingeschaltet und die Minderjährige ggf. getrennt von der Familie untergebracht (§42 SBG VIII). Nach §4 Abs. 3 KKG sind Berater*innen, Lehrer*innen, Ärzt*innen, Psycholog*innen, Hebammen etc. berechtigt, bei einer (potentiellen) Gefährdung einer Minderjährigen auch ohne Schweigepflichtsentbindung das Jugendamt zu informieren – auch wenn es sich um eine Gefährdung handelt, die nicht unmittelbar bevor steht (z.B. eine geplante Beschneidung im Herkunftsland).

Überlegen Sie, was die Betroffene bzw. Gefährdete möchte oder braucht: Vor einer Gewaltsituation fliehen, psychologische Unterstützung, medizinische Versorgung, Kontakt zu Community-Netzwerken, ein Asylverfahren etc.? Wie kann dies erreicht werden?

Eine bundesweite Unterstützungsliste für Betroffene und Gefährdete hat TERRE DES FEMMES zusammengestellt. Hinweise auf Unterstützungsangebote in Hessen und Ärzt*innen, die sich intensiver mit dem Thema FGM beschäftigt haben, sind Teil dieser Infomappe. Sie werden auch über die einschlägigen Beratungsstellen, u.a. pro familia verteilt. Adressen für professionelle asylrechtliche Beratung finden Sie unter www.asyl.net.

Betroffene Mädchen und Frauen benötigen oft psychosoziale Unterstützung, Traumatherapie und medizinische Versorgung. Aufgabe von Ärzt*innen und Beratungsstellen ist es, den von FGM betroffenen Frauen eine Betreuung zu ermöglichen, die den kulturellen Hintergrund respektiert, einfühlsam reagiert und eine individuelle Lösung sucht.

Die psychosozialen Beratungszentren für Flüchtlinge und Schutzsuchende in Hessen haben den Versorgungsauftrag für die Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen. Deren Teams sind auf die Behandlung von akuten traumabedingten Reaktionen wie auch von komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen nach Extrembelastung spezialisiert. Eine Liste der Beratungszenten finden Sie hier: www.liga-hessen.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Hessenlisten/Hessenliste_Psychosoziale_Angebote_
Gefluechtete.pdf

In einer akuten Gefährdungssituation ist beispielsweise das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der Telefonnummer 0800 110016 an 365 Tagen des Jahres rund um die Uhr kostenfrei erreichbar. Die Beraterinnen des Hilfetelefons unterstützen auch von Genitalverstümmelung bedrohte oder betroffene Frauen. Sie stellen den Kontakt zu Unterstützungseinrichtungen in der Nähe her – z.B. zu den Deutsch-Afrikanischen Frauennetzwerken und Selbsthilfegruppen sowie zu Vereinen und Organisationen, die sich gegen Genitalverstümmelung engagieren. Die Beratung erfolgt in 15 Sprachen – sowohl telefonisch als auch per Chat.

Überzeugen Sie Migrant*innen in Deutschland, ihren Töchtern die Verstümmelung zu ersparen:

Vom Hamburger Runden Tisch wurde eine Handreichung erarbeitet, die Handlungsmöglichkeiten der jeweiligen Berufsgruppen sowie Interventionsketten und deren Schnittstellen, bzw. Kooperationspartner*innen aufzeigt. www.hamburg.de/opferschutz/3091566/weibliche-genitalverstuemmelung/

Eine Handlungsempfehlung der Hamburger Jugendämter gibt Fachkräften des Allgemeinen Sozialen Dienstes Orientierung im Umgang mit betroffenen Mädchen und deren Eltern. www.hamburg.de/infos-fuer-fachkraefte/veroeffentlichungen/3830020/intervention-bei-weiblicher-genitalvesrtuemmelung/

Wie verhalte ich mich, wie spreche ich über das Thema, wie schaffe ich eine Vertrauensbasis?

Wenn Sie im Rahmen Ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit mit gefährdeten oder betroffenen Frauen in Kontakt kommen, bzw. über FGM sprechen möchten:

Bereiten Sie das Gespräch vor –

Achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise –

Gehen Sie auf Ihr Gegenüber ein –

Zeigen Sie Respekt, nicht Betroffenheit

Ein solches Gespräch kann auch für Sie sehr aufwühlend sein. Vermeiden Sie, Ihrem Gegenüber Ihre eigenen Gefühle zu zeigen. Legen Sie notfalls eine Pause ein, damit Sie sich selbst wieder stabilisieren können. Es geht ausschließlich um Ihre Gesprächspartnerin, nicht um Ihr persönliches Empfinden. Machen Sie Ihren Standpunkt deutlich, ohne zu verurteilen.

Egal, welche Meinung Ihre Gesprächspartnerin zu FGM hat –

Folgende Themen können Sie ansprechen: