Weibliche Genitalverstümmelung gilt im deutschen Strafrecht als eigener Straftatbestand (§12 Abs. 1 StGB) und ist seit 2013 als schwerwiegende Körperverletzung strafbar (§226a StGB), die mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet werden kann. In besonders schweren Fällen, wenn FGM zum Tode führt, greift §227 StGB “Körperverletzung mit Todesfolge”.
Auf Eltern, die die Genitalverstümmelung veranlassen, können §225 StGB “Misshandlung von Schutzbefohlenen” sowie §171 StGB „Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht“ angewendet werden. Ein sog. Ersttäter wird mit zwei bis vier Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Andere Beteiligte, die bei der Durchführung von FGM geholfen haben, können als Mittäter*innen betrachtet und durch §25 Abs. 2 StGB „Täterschaft“ strafrechtlich verfolgt werden.
Nach §78b StGB greift eine Verjährungsfrist, die mit der Vollendung des 30. Lebensjahres der Betroffenen beginnt. Die Verjährungsfrist beträgt seit 2015 20 Jahre (§78 Absatz 3 Nr. 2 StGB).
FGM ist auch dann verboten, wenn es von Ärzt*innen durchgeführt wird. In diesem Fall machen sich Ärzt*innen nach §226a StGB strafbar und verlieren ihre ärztliche Zulassung. Nach dem deutschen Strafgesetz, welches für alle in Deutschland lebenden Personen gültig ist, gibt es die Pflicht, Straftaten in besonders schweren Fällen, die in §138 StGB “Nichtanzeigen geplanter Straftaten” aufgeführt sind, zur Anzeige zu bringen. §226a in Bezug auf FGM wird nicht explizit in §138 StGB genannt.
Seit 2015 ist auch eine im Ausland vorgenommene Genitalverstümmelung nach StGB §5 als „Auslandstat mit besonderem Inlandsbezug“ strafbar. Um Verstöße im Ausland zu erschweren, hat die Bundesregierung im Dezember 2016 auf Initiative des Bundesfamilienministeriums eine Änderung des Passgesetzes beschlossen. Wer mit Mädchen ins Ausland reisen will, um dort eine Genitalverstümmelung vornehmen zu lassen, dem droht gem. §7 Abs. 1 Nr. 11 PaßG der Entzug des Passes.
Die Einwilligung zu einer Genitalverstümmelung von Mädchen, Frauen oder Eltern ist nach §228 StGB „Einwilligung“ ausgeschlossen. Mit Einführung des §226a StGB sind auch in der Strafprozessordnung Änderungen vorgenommen worden, nach denen die verletzte Person als Nebenklägerin am Prozess teilhaben kann und ein Recht auf Verfahrensbeistand hat.
Opfer von FGM haben in einem Strafverfahren prozessuale Rechte. Der Bundestag hat 2015 den Gesetzentwurf zum sogenannten 3. Opferrechtsreformgesetz der Bundesregierung in der Fassung des Rechtsauschusses angenommen und damit die Richtlinie 2012/29/EU – die Victims’ Rights Directive – in nationales Recht umgesetzt. Für Kinder und Jugendliche, die Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten geworden sind, wie häusliche und sexualisierte Gewalt, Zwangsheirat und FGM, gibt es fortan einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung (StPO §406g). Die Bereitstellung der psychosozialen Prozessbegleitung für erwachsene Opfer ist als Kann-Regelung formuliert. Das Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung trat am 1. Januar 2017 in Kraft. Laut der Victims’ Rights Directive sind gefährdete und betroffene Mädchen und Frauen berechtigt speziellen Schutz, einschließlich fachlicher Unterstützung und Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Alle EU-Mitgliedsstaaten sind verpflichtet Betroffenen Informationen und Beratung in verständlicher Form zur Verfügung zu stellen. Dies bezieht sich auch auf undokumentierte Personen.
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) legt in §1631 “Inhalt und Grenzen der Personensorge” Abs. 2 fest, dass Kinder das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben. Körperliche Strafen, psychische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Darunter fällt auch FGM. Der rechtliche Rahmen für die deutsche Jugendhilfe im Falle einer drohenden oder bereits durchgeführten Tat basiert auf dem Sozialgesetzbuch Artikel 8a “Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung”.
Bei Gefährdung des Kindeswohls durch drohende Genitalverstümmelung können gerichtliche Maßnahmen wie die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge ergriffen werden (§ 1666 BGB). Das Jugendamt kann beim Familiengericht einen Antrag nach §1666 BGB “Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls” oder §1684 BGB „Umgang des Kindes mit den Eltern“ stellen. Das Familiengericht wird dann eine familienrechtliche oder aufenthaltsrechtliche Anordnung zum Wohle des Kindes treffen. Zudem haben, laut Sozialgesetzbuch §8 Abs. 3, Kinder und Jugendliche Anspruch auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten.
Bereits körperverletzte Mädchen und Frauen können gegen die Beschneiderin einen Schadensersatzanspruch nach § 823 BGB geltend machen. Die Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre (§ 199 BGB) und beginnt mit der Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 207 BGB).
Die Schweigepflicht ist sowohl nach §203 StGB als auch in Artikel 9 der Berufsordnung für Ärzt*innen in Deutschland geregelt. “Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist (…) zu schweigen” (Artikel 9 (1)). “Ärztinnen und Ärzte sind zur Offenbarung befugt soweit sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist (….)” (Artikel 9 (2)). Da FGM als Menschenrechtsverletzung gilt, ist die Offenbarung zum Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes zutreffend, wenn ein Mädchen gefährdet ist. Dies besagt §4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Danach müssen die Ärzt*innen (und auch Sozialberater*innen) einen Pflichtenkatalog abarbeiten (§4 Absatz 1, Absatz 3 KKG). Das Recht der Ärzt*innen auf Datenschutz/Verschwiegenheit wird eingeschränkt.
Eine weitere Regelung betrifft Fachpersonal mit Schutzmandat. Das sind zum Beispiel Ehe- und Familienberater*innen (auch in den FGM-Beratungsstellen), Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen von Mädchenunterkünften, allgemeiner sozialer Dienste und des Kinder- und Jugendnotdienstes. Diese müssen reagieren, wenn sie den starken Verdacht haben, dass ein Mädchen von FGM gefährdet ist (§8, 8a, 8b SGB VIII und §4 KKG Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz). Zu informieren ist das Jugendamt. In der Zeit vor dem Inkenntnissetzen des Jugendamts haben diese Fachleute das Recht, eine Beratung von der Jugendhilfe für die Beurteilung eines Falles von Kindeswohlgefährdung zu beantragen. Zu diesem Zweck sind sie ermächtigt, die erforderlichen Daten anonymisiert weiterzuleiten. Wird der konkrete Fall als tatsächlicher Verdachtsfall eingestuft, sind die Daten der Familie mit Klarnamen weiterzugeben.
Unabhängig davon kann im Fall eines rechtfertigenden Notstands gemäß §34 StGB eine Einschaltung Dritter ohne Schweigepflichtentbindung erfolgen. In diesem Fall wäre die Polizei zu rufen.
Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 wurde zum einen die nichtstaatliche und zum anderen die geschlechtsspezifische Verfolgung ausdrücklich in § 60 AufenthG aufgenommen, was augenscheinlich dazu führte, dass Gerichte fortan das Vorliegen von Asylgründen gem. Art. 16a GG verneinten, in den erfolgreichen Klagen der schutzsuchenden Person aber immerhin Flüchtlingsschutz zusprachen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 AufenthG hat für die betroffene Person dieselben aufenthalts-, arbeits- und sozialrechtlichen Folgen wie eine Anerkennung als Asylberechtigte*r. Das Zuwanderungsgesetz enthält Regelungen u.a. zum Schutz bei nicht-staatlicher Verfolgung: §60 Abs. 1 AufenthG besagt, dass Ausländer*innen nicht in einen Staat abgeschoben werden dürfen, in welchem ihr oder sein Leben oder Freiheit unter Bedrohung wegen ihrer oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe steht. Frauen und Mädchen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht sind, stellen eine „bestimmte soziale Gruppe“ in diesem Sinne dar. Das bedeutet, dass drohende Genitalverstümmelung für die Gewährung des Flüchtlingsstatus, bzw. einer Duldung des Aufenthalts als geschlechtsspezifischer Grund geltend gemacht werden kann. Auch bereits Betroffene von FGM haben unter Umständen Anrecht auf Flüchtlingsschutz, bzw. Duldung. Zum Beispiel in Fällen, in denen ihnen oder ihren sich ebenfalls in Deutschland aufhaltenden Töchtern FGM bei Heirat (z.B. Infibulation) oder Geburt droht (z.B. eine Reinfibulation) (UNHCR, 2018).
Eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat kann die Ausweisung zur Folge haben (§§ 53, 54 AufenthG). Dies kann auch gelten, wenn die Tat im Ausland begangen wird. Die Vornahme der Genitalverstümmelung kann den Widerruf der darauf beruhenden Flüchtlingsanerkennung zur Folge haben (§ 73 Abs. 1 Asylgesetz) und aufenthaltsbeendende Maßnahmen für Eltern und Kind nach sich ziehen.
Wie bereits in früheren Versionen zeigt der aktuelle UNHCR-Bericht „Too Much Pain“ von August 2018,
dass eine beträchtliche Anzahl von Frauen und Mädchen, die in der EU Asyl beantragen, aus FGM-praktizierenden Ländern stammen und viele von ihnen möglicherweise von FGM betroffen sind. In dem Bericht wird die Notwendigkeit hervorgehoben, in der EU und ihren Mitgliedstaaten die erforderlichen politischen Maßnahmen und Instrumente zu entwickeln, um FGM in Communities, die aus FGM-praktizierenden Ländern stammen zu verhindern und der besonderen Vulnerabilität von Asylsuchenden und Flüchtlingen, die von FGM betroffen sind, Rechnung zu tragen. data2.unhcr.org/en/documents/download/65299
Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist vorgesehen, dass bei jedem glaubhaften Vortrag im Rahmen einer Anhörung im Asylverfahren zu einer stattgefundenen oder drohenden Genitalverstümmelung eine fachärztliche Bescheinigung einzuholen ist. Diese sollte folgende Fragen beantworten:
Aus Gründen des Kindeswohls (Vermeidung einer nicht zwingend erforderlichen gynäkologischen Untersuchung) kann die obligatorische Vorlage einer fachärztlichen Bescheinigung ausnahmsweise entfallen, wenn es sich bei der Betroffenen um ein in Deutschland geborenes Mädchen handelt und keine Hinweise vorliegen, dass bereits eine Genitalverstümmelung stattgefunden hat.
Den Mitarbeiter*innen des BAMF werden zusätzlich zu den Schulungen, die für „Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung“ angeboten werden, auch allgemeine Basisinformationen zum Thema weibliche Genitalverstümmelung zur Verfügung gestellt.
In seiner „Dienstanweisung Asyl“ geht das BAMF auf das Thema Genitalverstümmelung ein (unter dem Punkt „Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylG“ auf Seite 8 f.). Die Dienstanweisung ist online zugänglich:
www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/DA-Asyl-April-2017.pdf
Im Rahmen der Anhörung sind entscheidungsrelevante Sachverhalte sensibel zu erfragen. Es gilt, die Einstellung zu Traditionen im Herkunftsland, zu Lebensumständen und Herkunft in Erfahrung zu bringen. Bei geschlechtsspezifischer Verfolgung ist darauf zu achten, dass bei der Anhörung – sowohl im Hinblick auf das Geschlecht der Entscheider*innen als auch der Dolmetscher*innen – den Bedürfnissen der Antragstellerinnen angemessen Rechnung getragen wird. Da die Antragsteller*innen oftmals nicht wissen worauf es in der Anhörung ankommt, empfiehlt sich eine besondere Beratung für das Asylverfahren durch eine Fachstelle oder eine Anwält*in.
Minderjährige, die in Begleitung ihrer Eltern sind, müssen nicht zwingend angehört werden. Eine Anhörung ist durchzuführen, wenn die Kinder eigene Gründe vorbringen möchten und aufgrund des Alters, Wissenstands und Reifegrads eine Anhörung sinnvoll erscheint. Bei rein kinderspezifischen Fluchtgründen (Zwangsheirat, Genitalverstümmelung,
häusliche Gewalt) ist bei der Anhörung die Beteiligung der Eltern zu klären. Sie können u.U. von der Anhörung ausgeschlossen werden. Es erfolgt jedoch nicht grundsätzlich eine Trennung von Kind und Erziehungsberechtigten. Die Anhörung ist kindgerecht durchzuführen.
Um auf die große Zahl der ankommenden Flüchtlinge nach Deutschland zu reagieren, hat die Regierung 2016 beschlossen, ein beschleunigtes Verfahren für die Gewährung des Asylrechts umzusetzen (BGBI Teil I, Nr. 12, 2016, Artikel 1 „Änderung des Asylgesetzes, AsylG: §30a „Beschleunigte Verfahren“). Dieses Verfahren kann nicht mehr auf die besonderen Bedürfnisse (zeitnahe persönliche Gespräche, gender-sensible Interviewerinnen etc.) von Frauen mit Erfahrungen von geschlechtsspezifischer Gewalt wie FGM eingehen, obwohl die EU-Asyl-Richtlinien dies erfordern. Ein bereits erfolgter FGM-Eingriff sowie ein drohender FGM-Eingriff sind im Asylverfahren stets gleich zu Beginn des Verfahrens vorzutragen. Andernfalls gilt es als nachgeschoben und damit nicht mehr für die Asylberechtigungsprüfung verbindlich.